Seit etwa drei Jahren gibt es eine neue weltweite Konjunktur feministischer Proteste: 2017 ging es los mit massenhaften Aktionen in Argentinien. FLINT* verweigerten ihre Hausarbeit, erschienen nicht zur Arbeit und versammelten sich auf Plätzen und Straßen. Im Jahr darauf traten Millionen FLINT* in Spanien in den Streik und legten für einen Tag das gesamte Land lahm. Der 8. März 2018 wurde zum größten Streik, den Europa bis dato gesehen hatte. Diese Initiativen wurden von FLINT* auf der ganzen Welt aufgegriffen, und so entstanden zahlreiche neue feministische Zusammenschlüsse. Die Aktionen, Demonstrationen und Protestformen rund um den Internationalen Feministischen Kampftag und darüber hinaus wurden breiter, kreativer und vielfältiger.
Im Februar 2019 gründete sich nach monatelanger Vorarbeit unser FLINT*-Komitee für einen feministischen Streik Nürnberg.
Warum Streik?
Streik bedeutet die Niederlegung von Arbeit – und Arbeit ist eines der wichtigsten Momente innerhalb der strukturellen Unterdrückung von FLINT*. Ein feministischer Streik macht die vielfältigen Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse von FLINT* sichtbar. Der gemeinsame Ausbruch aus diesen Verhältnissen, das Sich-Widersetzen kann zu einem Mittel der Macht und zu einem Bruch im System werden. Dabei gehen unsere Forderungen weit über das Feld der Lohnarbeit hinaus. Wenn wir streiken, dann bestreiken wir genauso unbezahlte Care-Arbeit und fordern deren radikale Umverteilung. Wir streiken für Selbstbestimmung in Sachen Körper und Identität und kämpfen gegen jede Form der Gewalt an FLINT*. Kurzum: Wir bestreiken den sexistischen, patriarchalen Normalzustand. Und wir glauben, das ist umso wichtiger in Zeiten, in denen der rechte Backlash nicht nur der weiteren Durchsetzung feministischer Anliegen entgegenwirkt, sondern auch bisherige Errungenschaften wieder zunichtemacht. So etwa in Polen, das sich auf ein Abtreibungsverbot zubewegt.
Warum FLINT*1?
Unser Name bildet das ab, was wir sind: Eine Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Körpern und Lebensgeschichten. Was uns vereint, sind unsere Diskriminierungserfahrungen innerhalb patriarchaler Strukturen und unser Wille, dem etwas entgegenzusetzen.
Es hat einige Wochen gedauert, bis wir uns auf unseren Namen festgelegt hatten. Dass der Begriff „Frauen*streik“ für uns nicht infrage kommt, war schnell klar, denn wir empfinden ihn als ausschließend. Dann stand noch die Formulierung „Frauen- und Queers-Streik“ im Raum. Allerdings definieren sich auch viele Cis-Männer als queer, und somit hätte es schnell zu Missverständnissen kommen können. Denn in einer Sache waren wir uns sofort einig: Wir freuen uns, wenn Cis-Männer solidarische Arbeit leisten, aber in unserer Gruppe oder in unserem Streik haben sie nichts zu suchen. Der Begriff „Feminismus“ war uns wichtig, um uns in einen historischen und internationalistischen Kontext mit den vielen verschiedenen feministischen Kämpfen weltweit zu stellen. So wurden wir zum FLINT*-Komitee für einen feministischen Streik Nürnberg.
Feministischer Aktivismus in Zeiten der Pandemie
Über ein Jahr haben wir auf den 8. März 2020 hingearbeitet und für einen Streik mobilisiert. Schließlich konnten wir am Donnerstag, den 5. März, unser Streikzelt mitten in der Innenstadt eröffnen. Vier Tage lang gab es jede Menge gutes Essen, gemütliche Sitz- und Gesprächsgelegenheiten, Konzerte, Infoveranstaltungen und feministisches Boxtraining. Mit einer Nachttanzdemo läuteten wir am Samstagabend laut und stimmungsvoll den Internationalen Feministischen Kampftag ein. Am Sonntag folgte dann die größte 8. März-Demo, die Nürnberg je gesehen hatte.
Zu dem Zeitpunkt war Corona schon ein allgegenwärtiges Thema. Eine Woche später machten in Bayern die Schulen und KiTas dicht, und wieder eine Woche später setzten die Ausgangsbeschränkungen ein. Wir waren erstmal erschöpft. Erschöpft von einem Jahr Hinarbeiten auf den 8. März, erschöpft von all den Eindrücken und erschöpft vom Streik-Wochenende, das für uns Ermächtigung, Kampf und harte Arbeit zugleich gewesen war. Hinzu kam der Struggle, den die veränderte Situation mit sich brachte: Einige von uns hatten mit Sorgen und Ängsten aufgrund des Virus zu kämpfen, andere mit den Folgen der Isolation und wieder andere mit der Bedrohung durch die massive polizeistaatliche Repression in Bayern.
Noch Anfang März stand für uns fest, dass wir den 8. März 2020 nutzen wollten, um neue Leute für unser Komitee und unsere Sache zu gewinnen, und so unsere Strukturen weiter auszubauen und zu festigen. Für Mitte März war bereits ein großer feministischer Brunch geplant, auf dem wir Pläne für die Zukunft schmieden wollten. Stattdessen dauerte es nun etwa zwei Wochen, bis wir uns aus unserer Schockstarre bewegten. Dann war klar: Auf keinen Fall darf unsere Politik sich in Vereinzelung auflösen; irgendwie muss unsere Arbeit weitergehen. Also etablierten wir eine Routine für Online-Konferenzen, in die sich auch Leute ohne technische Ausstattung einfach nur mit dem Telefon einwählen können. Das hat einiges an Kapazitäten gekostet und ist sicherlich auch kein Ersatz für persönliche Treffen, aber immerhin konnten wir weitermachen.
Unser nächster politischer Fixpunkt war der 1. Mai, der Internationale Kampftag der Arbeiter*innenklasse. Der ursprüngliche Plan war gewesen, uns mit einem großen feministischen Block an der revolutionären Demo in Nürnberg zu beteiligen. Denn, wie oben beschrieben, Arbeitskampf ist feministischer Kampf und feministischer Kampf ist Arbeitskampf. Jetzt mussten wir uns Alternativen zur Demo überlegen. Auf unseren Protest zu verzichten, kam nicht infrage, schließlich werden gerade in Zeiten der Corona-Krise patriarchale Strukturen verschärft sicht- und spürbar.
Am Tag und in der Nacht vor dem 1. Mai waren wir im Stadtgebiet unterwegs und verschönerten Plakatwände, Brücken und Zäune mit Schildern und Transparenten, auf denen feministische Forderungen zu lesen waren. Außerdem bastelten wir lebensgroße Demonstrant*innen aus Pappe, statteten sie mit Schildern aus und postierten sie am Straßenrand. Für den 1. Mai selbst organisierten einige von uns einen lila Lautsprecherwagen, der durch Nürnberg fuhr und die Stadt mit voraufgenommenen Reden beschallte. Ein Teil des FLINT*-Komitees schloss sich dem Lauti in einem kleinen Fahrrad-Corso mit gegenseitigem Abstand an. Unsere Räder waren mit Schildern dekoriert, wir waren sichtbar, wir waren laut. Diejenigen aus unserer Gruppe, die aus gesundheitlichen Gründen nicht auf die Straße konnten, hängten Fahnen als Zeichen der Solidarität aus ihren Fenstern und wurden auf Wunsch auch von unserem Fahrrad-Corso „besucht“. Außerdem konnten unsere Aktionen auf Instagram und anderen Plattformen online verfolgt werden. Trotz Regen und immenser Polizei-Präsenz war unser 1. Mai kämpferisch und feministisch.
Wie geht es weiter?
Am 1. Mai war Nürnberg voll von Polizist*innen, die Leute willkürlich kontrollierten, Transpis abhängten und Schilder zerrissen. Es wurden Maßnahmen ergriffen, die mit Infektionsschutz schlichtweg nicht zu rechtfertigen sind. Zum Beispiel wurden Menschen immer wieder von Cops zusammengedrängt, was ein Abstandhalten unmöglich machte. Ähnlich erging es auch Aktivist*innen vom Bündnis Seebrücke, die in Nürnberg in den letzten Wochen unter sorgfältiger Einhaltung gesundheitlicher Maßnahmen auf die derzeitige Situation von Geflüchteten aufmerksam machten. Ihr Protest wurde von der Polizei gewaltsam aufgelöst.
Gleichzeitig demonstrieren in Nürnberg zurzeit wöchentlich altbekannte Nazis und rechte Verschwörungstheoretiker*innen in riesiger Zahl und völlig unbehelligt. Dem muss etwas aus feministischer Perspektive entgegengesetzt werden. Wir arbeiten daran.
Das FLINT* Kommitee findet ihr hier: https://femstreiknbg.home.blog/
- Frauen, Lesben, Inter-, Nonbinary- und Trans-Personen sowie alle nicht cis-männlichen Personen. ↩︎